Theorie:

Émile Zola (1840 – 1902)
Zola gründete seine Kunstlehre auf der von Hippolyte Taine (siehe Theoriekapitel 2) entnommenen Milieutheorie und auf Charles Darwins Vererbungslehre. Seine Werke waren "Experimentalromane"; er sah die Dichtung als eine Art wissenschaftlicher Untersuchung an: Der Dichter müsse gleich dem Naturforscher ein scharfer Beobachter sein und seine Fantasie im Zaume halten.
 
 
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Émile Zola
 
 
Zola legte das größte Gewicht auf die Umwelt, auf alle Kleinigkeiten der verschiedenen Lebenskreise, deren dämonischem Einfluss sich der Mensch nicht entziehen kann. Er vertritt die Ansicht, dass der freie Wille des Menschen nur eine Illusion sei, seine Charakterentfaltung nur eine Temperamentsentfaltung.
 
Weiter verlangte er, dass der Dichter seine Gestalten aus der Wirklichkeit herausgreife und ihre Entwicklung ohne persönliche Anteilnahme aus der Vererbung und durch getreue Wiedergabe der auf sie wirkenden Außenwelt erkläre.
 
Zarte Seelenregungen kann Zola nicht schildern, wohl aber das Große, Grausige, alles, was Wahrheit ist, bei der nichts beschönigt und nichts verschwiegen werden darf. Fast erinnern seine Werke an die Schicksalstragödie, nur dass hier Industrie, Börse usw. zu den gewaltigen Schicksalsmächten werden, die zu fast dämonischem Leben erwacht sind und denen keiner entrinnen kann: alle Menschen müssen ihnen willen- und rettungslos verfallen.
 
"Les Rougon-Macquart"
Die Romanserie umfasst insgesamt 20 Bände und schildert das Schicksal der Familie Rougon-Macqart. Die von einer Stammesmutter ererbten Anlagen (Begierde, kranke Nerven) entwickeln sich unter verschiedenen Verhältnissen in fünf Geschlechterfolgen.
 
Der legitime Zweig, die Rougon, haben die meisten Kräfte und steigen empor, während die illegitimen Angehörigen der Familie, die Mourets, die der mittleren Gesellschaftsschicht angehören, und die Macquart, die aus der wilden zweiten Ehe der Stammmutter mit einem Schmuggler und Säufer stammen, in soziale Tiefen absinken.
 
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Der visualisierte Stammbaum der Familie Rougon-Macquart-Mouret zeigt anschaulich den Umfang der Romanserie Zolas.
  
Die Familie der Rougon-Macquart repräsentiert das Kaiserreich in seinen verschiedenen Schich- ten, und ihre Krankheit ist ein symbolischer Ausdruck der sittlichen Krankheit, an der das zweite Kaiserreich litt und zu Grunde gehen musste. Zola setzt das Einzelne als Symbol des Ganzen; die Familie der Rougon-Macquart ist ihm die Gesellschaft des Kaiserreiches schlechthin, so wie ihm ein Zug streikender Arbeiter die Revolution selbst verkörpert.
 
Die verschiedenen Stände in Paris und in der Provinz ziehen wie Wandelbilder vorüber; in der Romanserie schildert er mannigfache Berufe: Arbeiter, Bauern, Kaufleute, Börsenspekulanten, Priester, Soldaten, Dirnen, Künstlerkreise, die Börsenwelt, das Eisenbahnwesen, Bauernschicksale und schließlich das Proletariat bilden das Milieu der Romane.
 
Die bekanntesten Einzelromane dieser Serie sind:
  • "L'Assommoir": führt in die Alkoholspelunken der Arbeiter und begründete Zolas Weltruhm
  • "Germinal": wurde das bekannteste Werk, es schildert das Leben der Minenarbeiter und die Schrecken der Kohlenbergwerke 
  • "La Bête humaine": Spielt im Eisenbahn-Milieu; die Lokomotive wird zum symbolischen Geschöpf, zum Tier
  • "Nana": schildert die Kreise der Dirnen
  • "Ventre de Paris" (Bauch von Paris): eine wilde Anklage gegen Bürgertum und Materialismus
  • "La Terre" (Die Erde): ein Bauernroman
 
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Der Roman "Germinal" ist der bekannteste aus der Serie "Rougon-Macquart". Hier das Plakat einer Theateraufführung im Jahr 1890.
 
 
 
Quellen:
Schenk, I. (2015): DEUTSCH. Lehrbrief 26, Dr. Roland GmbH, 2. Auflage, Wien
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:ZOLA_1902B.jpg (3.5.2016)
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Zola_-_Arbre_généalogique.jpg (3.5.2016) 
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Théâtre_du_Châtelet-Germinal-1890_Gallica.jpeg (3.5.2016)