Theorie:

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Hugo von Hofmannsthal im Alter von 19 Jahren

Hofmannsthal war die bedeutendste Dichterpersönlichkeit aus dem Kreis der Wiener Gegenströmung gegen den Naturalismus und einer der letzten Vertreter altösterreichischer Kunst und Kultur.

Er war italienisch-jüdisch-sudetendeutscher Abstammung, geboren in Wien und wuchs in einem überkultivierten, neu-adeligen Milieu auf. Der junge Hofmannsthal trat mit reifen Jugendwerken hervor. Er galt als Wunderkind und Überwinder des Naturalismus.

1929 starb der Dichter nach dem Selbstmord seines ältesten Sohnes, erst 55 Jahre alt, an einem Herzschlag.

Sein Wirken kann in 3 Entwicklungsstufen unterteilt werden:

Erste Entwicklungsstufe
  • dekadenter Ästhetizismus, Impressionismus, Symbolismus
  • Werke in dieser Zeit: Gedichte und kleine Dramen
  • Die Lyrik war geprägt durch große Bildhaftigkeit, Musikalität, Symbolismus (z.B. "Terzinen über die Vergänglichkeit", "Ballade des äußeren Lebens")
  • Lyrische Versdramen: "Der Tor und der Tod"
  • Essay: "Ein Brief" (Chandos-Brief: Sprachskepsis, Wahrheit sei durch die Sprache nicht darstellbar)
 
Aus dieser Phase ist unter einer großen Anzahl von Gedichten und einigen lyrischen Einaktern am bedeutendsten:

"Der Tor und der Tod"
Trotz seiner Jugend ekelt es dem Edelmann Claudio vor dem Leben, alles ist ihm ewig sinnloses Suchen und wirres Sehnen, er sieht die Wirklichkeit kaum, immer stand er neben dem Leben und nicht darin. In Grübeleien versunken steht plötzlich der Tod vor ihm. Er zeigt Claudio das Leben, das er versäumt hat: Die Mutter, die stets von Sorgen um den Sohn erfüllt war, die Geliebte, die er achtlos wegwarf und deren Herz brach, den Freund, der an Claudios Gleichgültigkeit litt und im Elend einer Mörderklinge zum Opfer fiel. Sterbend wird Claudio sehnend, der Tod schüttelt den Kopf über die merkwürdigen Menschen.
  
Neben Rilkes "Cornet" ist Hofmannsthals Dichtung das reifste Werk der Literatur eines so jugendlichen Dichters - er war knapp 18 Jahre alt! Die Gestalt des von seiner Wissens- und Bildungsfülle fast erdrückten Claudio, der dabei die reale Beziehung zum Leben verloren hat, ist der junge Autor selbst, der in diesem Totentanzspiel den Sinn des Lebens ergründen will.

Beachtenswert ist die klangvolle, schöne Sprache, die wie Musik wirkt und mehr zum Hören als zum Lesen bestimmt ist. Der tiefe Stimmungsgehalt, der reife Ausdruck und die herrliche Sprache dieses Jugendwerks weisen schon auf die reifen Werke des Dichters.

Zweite Entwicklungsstufe
  • Erkennen des Ästhetizismus als Irrweg
  • Beschäftigung mit antiker Tragödie: "Elektra", "Ödipus und die Sphinx", "König Ödipus" (moderne Umdichtung nach Sophokles)
 
"Elektra", ein Einakter von tiefer psychoanalytischer Durchdringung, entstand 1903 und wurde von Richard Strauss vertont.

Die nun folgende Zusammenarbeit mit dem größten Opernkomponisten des ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ließ eine Fülle von Libretti entstehen und währte bis zu Hofmannsthals Tode. Weltruhm erlangten die beiden mit der Oper:
  
"Der Rosenkavalier", der in das Wien zur Zeit Maria Theresias führt und die elegisch-heitere Geschichte einer alternden Frau bringt, die ihrem jugendlichen Liebhaber zu dem erwählten Mädchen verhilft. Einmalig ist die Charakterisierung des verkommenen Adeligen Ochs von Lerchenau und des neureichen Adeligen Faninal.
 
 
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Aufführung des Rosenkavaliers, Salzburger Festspiele 2014
 
Weitere Opern von Hofmannsthal/Strauss:
  • "Ariadne auf Naxos": ein eigenartig-originelles, von Text und Musik aus gleich meisterhaftes Werk
  • "Arabelle": sollte den Erolg des Rosenkavaliers wiederholen, ist aber weniger gelungen 
     
Dritte Entwicklungsstufe
  • Beschäftigung mit dem Christentum
  • Wiederbelebung des mittelalterlichen Mysterienspiels: "Jedermann", "Das Salzburger große Welttheater" (nach Calderon), "Der Turm" (Fragment; ebenfalls nach Calderon)
  • Lustspiele, Novellen
  • Roman: "Andreas oder die Vereinigten" (Fragment)
 
"Jedermann, das Spiel vom Sterben eines reichen Mannes"
 
Gott, der Herr, will über die gottlos gewordenen Menschen Gericht halten und befiehlt dem Tod, den reichen Jedermann vorzuladen. Jedermann steht in der Vollkraft seiner Jahre, ist stolz auf sein Geld und seinen Besitz und hat für die Nöte anderer Menschen, wie für den armen Nachbarn und den Schuldknecht und sein Weib, kein Mitgefühl. Aber auch die Vorwürfe seiner Mutter, auf ein Gott wohlgefälliges Leben bedacht zu sein und an sein Seelenheil zu denken, lassen ihn ungerührt.

Um die Mutter zu beruhigen, verspricht er ihr, dass er bald heiraten werde - er lädt aber die Buhlschaft und seine Freunde zu einem lustigen Gelage. Mitten in dem bunten Treiben des Festes regen sich in Jedermann trübe Vorahnungen, er vermeint Glockengeläute zu vernehmen und hört schließlich von überallher Stimmen, die "Jedermann" rufen. Todesbangen wird in ihm wach, vergebens versucht die Geliebte ihn zu beruhigen.

Das steht auch schon der Tod hinter ihm und legt ihm die Hand aufs Herz. In höchster Angst fleht Jedermann um eine Gnadenfrist, die ihm der Tod schließlich mit der Warnung gewährt, sie gut zu nützen. Jedermann sucht nun eine Gefährtin oder einen Gefährten, um gemeinsam die lange, schwere Reise anzutreten, aber alle Zechenden verlassen ihn, auch die Geliebte, schließlich auch der Mammon (= das Geld).

Dafür kommt ihm eine unerwartete Hilfe. Seine guten Werke, krank und schwach, wollen ihn zum Gottesgericht geleiten und rufen den Glauben zu Hilfe. In aufrichtiger Reue sinkt Jedermann im Gebet nieder, aus der Hand eines Mönches empfängt er das Sakrament. Vergebens versucht der Teufel, seine Seele zu holen, der Glaube und die nun gesundeten guten Werke weisen ihn ab. Jedermann steigt nun in einem weißen, langen Hemde, einen Pilgerstab in der Hand, mit totenbleichem, jedoch verklärtem Antlitz unter Engelsgesang ins Grab. Die guten Werke helfen ihm dabei und folgen ihm nach. Der Glaube aber verkündet seine Rettung.
 
 
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Jedermann und der Tod, Salzburger Festspiele 2014
 
Dieses Werk, einem altenglischen Mysterienspiel nachempfunden, behandelt ein zeitlos-allgemeingültiges Problem. Jedermann ist der Mensch, dessen Sinnen und Trachten auf irdische Güter gerichtet ist, der vom edlen Menschentum Abgeirrte, der in der Todesstunde seine Fehler erkennt und im christlichen Glauben den richtigen Weg zum Heil findet.

Keine der Gestalten ist individuell gezeichnet, alle sind typisiert, daher verwendet der Dichter keine Namen, nur allgemeine Bezeichnungen: der gute Gesell, dicker und dünner Vetter, Buhlschaft usw.

Die barocken Elemente sind unverkennbar: Die Diesseits-Jenseits-Spannung, die gewaltige Antithese, die das Werk durchzieht und in dem Auftreten des Todes während des ausgelassenen Festes den Höhepunkt findet.

Entsprechend seinem Vorbild aus dem ausgehenden Mittelalter lässt Hofmannsthal das Spiel von einem Spielansager einleiten, der sich an alle, an "Jedermann", wendet. Der betrogene Teufel als heitere Figur stammt aus dem religiösen Spiel des Mittelalters, der weihevolle Schluss von Hofmannsthal selbst. Die Sprache ist altertümlich stilisiert.

Durch die Aufführung vor dem Dom zu Salzburg erreichte das Stück Weltgeltung.
Bedeutung
Die von tiefsten Gedanken erfüllten und in nicht immer leicht erkennbaren Symbolen ausgedrückten, über Zeit und Raum stehenden ernsten Dramen Hofmannsthals stellen zweifellos den Höhepunkt symbolistischer Dramatik dar.

Die gepflegte Sprachkunst und die geniale Fähigkeit, Stimmungen auszudrücken, ließen Hofmannsthal zu einem ausgezeichneten Lyriker werden.

Als Dramatiker, Librettist, Lyriker, Erzähler und Essayist gehört Hofmannsthal zu den bedeutendsten literarischen Persönlichkeiten Österreichs des 20. Jahrhunderts. Sein bleibendes Denkmal aber setzte er sich 1920 selbst durch die Mitbegründung der Salzburger Festspiele, die ohne den "Jedermann" undenkbar geworden sind.
  
  
Quellen:
Mayer, Stephanie (2015): DEUTSCH. Literaturgeschichte 2, Dr. Roland GmbH, 8. Auflage, Wien
Schenk, I. (2015): DEUTSCH. Lehrbrief 29, Dr. Roland GmbH, 2. Auflage, Wien
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hofmannsthal_1893.jpg (2.6.2016)
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