Theorie:

Europa als Einwanderungsziel
Wirtschaftliche Not und politische Verfolgung haben noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts viele Europäerinnen und Europäer zur Auswanderung vor allem in die USA, aber auch nach Kanada, Lateinamerika, Australien oder in die Kolonien veranlasst. Diese Entwicklung hat sich mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs umgedreht: Nun ist Europa, vor allem West- und Mitteleuropa, ein begehrtes Einwanderungsgebiet geworden.
  
Den Anstoß für diese Umkehrung gaben die europäischen Staaten selbst. In den 1960er und 1970er Jahren herrschte vor allem im westlichen Europa ein Arbeitskräftemangel, vor allem für nicht qualifizierte Tätigkeiten, weswegen viele Staaten massiv Arbeitskräfte aus Süd- und Südosteuropa sowie der Türkei anwarben. Diese "Gastarbeitenden" sollten nach der Vorstellung der Aufnahmeländer nur vorübergehend beschäftigt werden.
  
Aber in den letzten beiden Jahrzehnten des \(20\). Jahrhunderts sank die Nachfrage nach Gastarbeitenden. Viele von ihnen konnten und wollten aber nicht mehr in ihre alte Heimat zurück, da sie dort nicht viele wirtschaftliche Möglichkeiten sahen und sich bereits in ihren Aufnahmeländern eingelebt hatten.
  
Dann lösten die gesellschaftlichen Veränderungen in Osteuropa und der Krieg in Jugoslawien Anfang der \(90\)er Jahre eine neuerliche Einwanderungswelle aus. Zudem suchten viele Flüchtlinge um Asyl an, da sie politisch verfolgt wurden. (Das Asylrecht schützt Menschen, die wegen begründeter Furcht vor Verfolgung aus ihrer Heimat flüchten; die Genfer Flüchtlingskonvention wurde von \(137\) Staaten unterzeichnet, die damit die Gewährung von Asyl garantieren.)
  
Schließlich kam es mit der zunehmenen Instabilität im Nahen Osten und Nordafrika zu einer weiteren großen Einwanderungswelle, die sich vor allem durch massenhafte Migration infolge des Syrien-Konflikts im Sommer \(2015\) zur sogenannten "Flüchtlingskrise" der EU entwickelte.
  
Diese offenbarte einerseits, dass die Außengrenze des Schengen-Raums (siehe Kapitel 7: Geldpolitik und Binnenmarkt) nicht abgesichert werden konnte und dass sich andererseits das Regelwerk "Dublin III" als problematisch erwies - demnach müssen Flüchtlinge in dem EU-Land um Asyl ansuchen, das sie als erstes betreten. Damit werden die Mittelmeerländer vor eine große logistische Herausforderung gestellt.
  
  
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Abb. 1: Übersicht über die "Flüchtlingskrise" in Europa im Jahr 2015
 
In den Zuwanderungsgebieten gibt es heute eine wachsende Zahl einheimischer Menschen, die angesichts der Migrationsströme Angst vor "Überfremdung" empfinden und daher populistische Parteien wählen, die eine weitere Zuwanderung einschränken wollen. Nicht selten entwickelt sich daraus eine regelrechte Xenophobie und handfester Rassismus.
  
Einwanderungspolitik der EU
Einwanderung ist ein internationales Phänomen, das alle EU-Mitgliedstaaten betrifft. Daher beschloss die EU die Einführung einer gemeinsamen Einwanderungspolitik - die sich allerdings wie erwähnt im "Ernstfall" des Jahres 2015 als nur bedingt haltbar erwies. Die ausgearbeiteten Vorschriften finden keine Anwendung in Dänemark, das von seinem "Opt-out-Recht" Gebrauch machte, während Irland und das Vereinigte Königreich weiterhin von Fall zu Fall entscheiden können, ob sie die Einwanderungsvorschriften der EU übernehmen oder nicht.
  
  
Legale Einwanderung von Drittstaatsangehörigen
  
Die Einwanderungspolitik betrifft sensible Themen wie:
  • Beschäftigungsquote
  • sozialen Zusammenhalt und kulturelle Vielfalt, aber auch 
  • Grenzüberwachung, Strafverfolgung und nationale Sicherheit.
2003 wurde eine Richtlinie über das Recht auf Familienzusammenführung angenommen. Diese Richtlinie führt die Bedingungen aus, unter denen Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, das Recht erwerben, Ehepartnerinnen bzw. -partner und Kleinkinder in die EU zu bringen.
  
Eine weitere Richtlinie über den Status langfristig Aufenthaltsberechtigter gewährleistet die Gleichbehandlung von Drittstaatsangehörigen, die sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig in der EU aufhalten, in den meisten sozialen und wirtschaftlichen Bereichen. Unter bestimmten Bedingungen verleiht sie außerdem das Recht auf den Umzug in einen anderen Mitgliedstaat vor allem zum Zweck der Arbeit und des Studiums.

Die EU beabsichtigt außerdem die Erleichterung der Zulassung von Forschungspersonal aus Drittländern als Teil ihrer Bemühungen, die europäische Forschung zu fördern und für Forscher attraktiver zu machen.
  
 
Förderung der Integration von Einwandernden
 
Die Integration von Drittstaatsangehörigen in die Mitgliedstaaten ist eine der größten Herausforderungen der gemeinsamen Einwanderungspolitik und ein entscheidendes Element bei der Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts in der EU. Gerade der große Zustrom an Einwandernden seit 2015 wird die EU-Staaten langfristig fordern.
  
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Abb. 2: Deutschkurs für Asylbewerbende: Die Integration von Zuwandernden ist eine der größten Herausforderungen.


Grundsätzlich hat die EU-Kommission die Bedeutung der Einwanderung hervorgehoben: sie veröffentlichte im Jahr 2003 eine Mitteilung zu Einwanderung, Integration und Beschäftigung, in der hervorgehoben wird, dass Einwanderung zwar nicht alle Probleme des demografischen Rückgangs und der Alterung lösen wird, aber zunehmende Einwanderungsströme notwendig sein werden, um den künftigen Bedarf an Arbeitskräften in der EU zu decken. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den erwarteten Rückgang der EU-Bevölkerung im Erwerbsalter.
  
Außerdem hat die EU einen rechtlichen Rahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit geschaffen - Faktoren, die den Integrationsprozess ernsthaft behindern können.
  
  
Maßnahmen gegen illegale Einwanderung
 
 
Im Rahmen der Entwicklung einer gemeinsamen Politik zur Bekämpfung illegaler Einwanderung wurden drei Aktionspläne geschaffen:
  • Verhinderung illegaler Einwanderung,
  • Schutz der Außengrenzen der EU und
  • Rückkehr von Migranten oder Asylwerbern in ihre Heimatländer (hierzu gibt es eigene "Rückübernahmeabkommen")
In diesen Aktionsplänen sind auch "operationelle" Maßnahmen enthalten, wie z.B. Grenzschutz oder Zusammenarbeit der Polizei- und Justizbehörden. Weitere Ziele sind die Bekämpfung des Menschenhandels und die Förderung des Einsatzes neuer Technologien, um Reisedokumente und Identitätsnachweise sicherer zu machen.
  
 
Quellen:
Roland, M. (Hrsg.): GEOGRAPHIE. Lehrbrief 5, Dr. Roland GmbH, Auflage 12/2015, Wien
https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AKarte_Fl%C3%BCchtlingskrise_in_Europa_2015.png (2.8.2016)