Theorie:

Wir haben soeben gesehen, dass komplexe Zahlen eine geometrische Interpretation in der Gaußschen Zahlenebene besitzen. Wir können komplexe Zahlen gewissermaßen mit Vektoren im \(\mathbb R^2\) identifizieren. Nun kann man Vektoren im \(\mathbb R^2\) auf verschiedene Arten beschreiben, insbesondere durch kartesische Koordinaten, andererseits durch Polarkoordinaten. Und genau das Gleiche kann man mit komplexen Zahlen machen. Wie wir sehen werden, hat das gewisse Vorteile.
Die Polardarstellung einer komplexen Zahl \(z\,=\,a+ib\) ist gegeben durch ein Paar \((r;\phi)\).
  • \(r\) muss nicht-negativ sein, und ist der Betrag der komplexen Zahl: \(r\,=\,|z|\).
  • \(\phi\) ist der Polarwinkel, und man wählt ihn gewöhnlich in folgenden Grenzen: \(0^\circ\le \phi<360^\circ\). Man nennt \(\phi\) das Argument der komplexen Zahl \(z\), und schreibt oft \(\phi=\arg z\).
polardarst.jpg
\(\phi\) ist das Argument. Der Betrag \(r\) ist grün eingezeichnet.
 
Im Gegensazu dazu nennt man die uns bereits bekannte Darstellung einer komplexen Zahl in der Form \(a+ib\) die kartesische Darstellung der komplexen Zahl.
Wie rechnet man nun eine komplexe Zahl von der einen Darstellung in die andere um? Es ist vielleicht leichter, wenn wir zunächst mit der Polardarstellung starten.
Wenn die komplexe Zahl \(z\,=\,(r;\phi)\) in der Polardarstellung gegeben ist, so lautet die Zahl \(z\) in kartesischer Darstellung
\(z\,=\,r\cdot(\cos\phi+i\sin\phi)\,=\,r\cos\phi+i r\sin\phi.\)
 
Dies kann man leicht nachvollziehen, wenn man beobachtet, dass die komplexe Zahl \(a+ib\) in der Gaußschen Zahlenebene ein rechtwinkeliges Dreieck definiert: Die Hypothenuse ist \(|z|\), die Ankathete (in Bezug auf \(\phi\)) ist \(a\) und die Gegenkathete ist \(b\). Aus den Definitionen von Sinus und Cosinus folgt, dass
 
\(a\,=\,r\cos \phi,\quad b\,=\,r\sin\phi.\)
Beispiel:
Die Polardarstellung einer komplexen Zahl ist \((\sqrt 2; 45^\circ)\). Es gilt \(\sin 45^\circ=\cos 45^\circ=\frac 1{\sqrt2}\). Damit lautet \(z\)
 
\(z=\sqrt 2\cdot\cos 45^\circ+\sqrt 2\cdot\sin 45^\circ=1+i\).
Will man die Polardarstellung \((r;\phi)\) der komplexen Zahl \(a+ib\) finden, so geht man folgendermaßen vor: Für die Unbekannten \(r\) und \(\phi\) gilt ja
 
\(a=r\cos\phi,\quad b=r\sin\phi.\)
 
Für den Betrag rechnet man
\(a^2+b^2=r^2\cdot(\underbrace{(\cos\phi)^2+(\sin\phi)^2}_{=1})=r^2.\) 
 
Also ist
 
\(r=\sqrt{a^2+b^2}\).
 
Um \(\phi\) zu bestimmen, hat man mehrere Möglichkeiten. Die vielleicht praktischste ist, dass man \(\cos\phi=\frac ar\) verwendet, also \(\phi=\arccos \frac ar\). Damit erreicht man aber nur \(\phi\in [0^\circ, 180^\circ]\). Das  Problem hier ist, dass für Argumente \(\phi>180^\circ\) zwar \(b\) und \(\sin\phi\) negativ sind, aber \(\cos\phi=\cos(360^\circ-\phi)\), der Cosinus also das Vorzeichen des Imaginärteils nicht unterscheiden kann. Wir müssen also das Vorzeichen von \(b\) als Zusatzinformation verwenden. Zusammenfassend erhalten wir für das Argument der komplexen Zahl
 
\(\displaystyle \phi=\begin{cases}\arccos \frac ar,\quad&b\ge0,\\  360^\circ-\arccos \frac ar,\quad&b<0. \end{cases}\)
 
Die Polardarstellung \((r;\phi)\) einer komplexen Zahl \(a+ib\) errechnet sich an Hand von
 
\(r=\sqrt{a^2+b^2}\),
 
\(\displaystyle \phi=\begin{cases}\arccos \frac ar,\quad&b\ge0,\\  360^\circ-\arccos \frac ar,\quad&b<0. \end{cases}\).
 
Falls \(r=0\) (also \(z=0\)), dann ist das Argument \(\phi\) nicht eindeutig bestimmbar und es gibt keine eindeutige Polardarstellung von \(z\).
Beispiel:
Wir suchen die Polardarstellung der komplexen Zahl \(z=-3+5i\). Der Betrag errechnet sich gemäß:
 
\(r=|z|=\sqrt{3^2+5^2}\approx 5,831.\)
 
Der Imaginärteil ist positiv, also können wir das Argument bestimmen durch
 
\(\phi= \arccos \frac ar\approx \arccos\frac {-3}{5,831}\approx 120,963^\circ\).
 
Die Polardarstellung von \(z=-3+5i\) ist also \((5,831 ;120,963^\circ)\), wobei wir das Ergebnis gerundet haben.
In der Polardarstellung ist die Bedingung an den Polarwinkel \(0\le\phi<360^\circ\) eine Konvention, andere Polarwinkel sind durchaus zulässig:
Wichtig!
Im Argument spielen Vielfache von \(360^\circ\) keine Rolle, diese entsprechen vollständigen Umläufen. Beispielsweise führt ein Polarwinkel von \(370^\circ\) auf das gleiche Resultat wie ein Polarwinkel von \(10^\circ\), man macht im ersten  Fall einfach einen vollständigen Umlauf zusätzlich.
Beispiel:
Die beiden komplexen Zahlen in Polardarstellung \((2; 15^\circ)\) und \((2; 375^\circ)\) sind die selben: Sie haben beide die kartesische Darstellung
 
\(2\cdot(\cos 15+i\sin 15)\),
 
denn \(\cos 15^\circ=\cos 375^\circ\) und \(\sin 15^\circ=\sin 375^\circ\). Das liegt an der Periodizität der Winkelfunktionen!