Theorie:

Bisher haben wir immer nur mit Polynomen mit reellen Koeffizienten gerechnet. Es spricht aber nichts dagegen, auch Polynome mit komplexen Koeffizienten zu betrachten:
Ein (komplexes) Polynom ist eine Funktion der Gestalt:
\(P(x)=p_nx^n+p_{n-1}x^{n-1}+\cdots+p_1x+p_0,\)
wobei \(n\ge 0\) eine natürliche Zahl ist, und \(p_n, p_{n-1}, \ldots, p_0\) komplexe Zahlen sind. Der führende Koeffizient \(p_n\) darf nicht null sein. \(P(x)\) ist ein Polynom vom Grad \(n\).
Beispiel:
Alle folgende Funktionen sind Polynome:
  • \(P(x)=2x-3\),
  • \(P(x)=-5x^3+(4+9i)x^2 - 5i\)
  • \(P(x)=4+8i\) (auch Konstanten sind Polynome - vom Grad null.)
Im vorigen Abschnitt haben wir gesehen, dass quadratische Polynome in den komplexen Zahlen immer Nullstellen besitzen, und sich immer als Produkt von genau zwei komplexen Linearfaktoren schreiben lassen. Definieren wir nun die notwendigen Begriffe für beliebige Polynome:
Unter einer komplexen Nullstelle eines Polynoms \(P(x)\) verstehen wir eine komplexe Zahl \(a\in\mathbb C\), sodass \(P(a)=0\). Der zugehörige (komplexe) Linearfaktor ist \(x-a\). Dieser Linearfaktor teilt \(P(x)\) ohne Rest.
Beispiel:
\(1-2i\) ist eine komplexe Nullstelle von \(Q(x)=x^3+x+10\), durch Einsetzen kann man nachprüfen, dass \(Q(1-2i)=0\). Also muss \(x-1+2i\) ein komplexer Linearfaktor sein, und \(Q(x)\) durch diesen Linearfaktor teilbar sein. Polynomdivision liefert:
 
\((x^3+x+10) : (x-1+2i) = x^2+x\cdot(1-2i)-2-4i.\)
 
Es gilt also \(x^3+x+10= (x-1+2i)\cdot (x^2+x\cdot(1-2i)-2-4i).\)
Beachte, dass das durch die Polynomdivision erhaltene quadratische Polynom keine reellen, sondern komplexe Koeffizienten hat! Wir können trotzdem die Lösungsformel für quadratische Polynome anwenden, und erhalten so die beiden anderen Nullstellen:
 
\(x_{1,2}=-\frac{1-2i}2\pm\sqrt{\frac{(1-2i)^2}{4}+2+4i}=-\frac{1-2i}2\pm\sqrt{\frac{5+12i}{4}}=-\frac{1-2i}2\pm\frac{3+2i}{2}.\)
 
Die beiden anderen Nullstellen sind also \(x_1=-2\) und \(x_2=1+2i\). (Das Wurzelziehen ist hier mühsam, wir nehmen diesen Schritt als gegeben an.)
Wir kennen nun also alle drei komplexen Nullstellen von \(Q(x)\), und können so das Polynom vollständig in seine drei (komplexen) Linearfaktoren zerlegen:
 
\(Q(x)=(x+2)\cdot(x-1-2i)\cdot(x-1+2i).\)
Wir haben bisher gesehen, dass man mehr Linearfaktoren von Polynomen in \(\mathbb C\) finden kann als in \(\mathbb R\). Beispielsweise hätten wir das Polynom in obigem Beispiel nicht in drei reelle Linearfaktoren zerlegen können. In \(\mathbb C\) hingegen konnten wir das Polynom sogar vollständig in komplexe Linearfaktoren zerlegen. Dass das immer geht, garantiert der Fundamentalsatz der Algebra:
Sei \(P(x)=p_nx^n+\cdots\) ein Polynom vom Grad \(n\). Dann gibt es immer \(n\) komplexe Zahlen \(a_1, a_2, \ldots, a_n\), sodass
 
\(P(x)=p_n\cdot(x-a_1)\cdot(x-a_2)\cdots(x-a_n),\)
 
d.h. man kann in \(\mathbb C\) jedes Polynom vollständig in komplexe Linearfaktoren zerlegen.
Der Fundamentalsatz der Algebra stellt nur sicher, dass man jedes Polynom vom Grad größer gleich eins in Linearfaktoren zerlegen kann. Wie man diese bestimmt, ist eine ganz andere Frage, und bei Polynomen höheren Grades ist das oft sehr schwierig und meistens gar nicht mehr exakt möglich, man muss sich dann mit Näherungen behelfen.