Theorie:

Im vorigen Kapitel haben wir gesehen, dass manche Polynome reelle Linearfaktoren besitzen, andere offenbar nicht. So zerfällt beispielsweise  x216 in die Linearfaktoren x4 und x+4. Doch schon das Ändern des "\(-\)" in ein "\(+\)" ändert die Situation vollkommen: x2+16 hat offenbar keine reellen Linearfaktoren mehr. Würde man versuchen, die Nullstellen von x2+16 zu ermitteln, so würde man die Werte x1,2\(=\pm\)16 erhalten. Solche reellen Zahlen gibt es aber nicht:
  • Die Wurzel einer reellen Zahl \(x\), mit sich selbst multipliziert, muss \(x\) ergeben. So müsste etwa 16\(\,\cdot\,\)16\(=\, -\)16 ergeben.
  • 16 kann daher nicht negativ sein, denn das Produkt einer negativen Zahl mit einer negativen Zahl ist positiv ("Minus mal Minus ergibt Plus"). In Formeln: \(-\)16\(=\)16\(\,\cdot\,\)16\(>0\), was ein Widerspruch ist.
  • Analog findet man, dass 16 auch nicht positiv oder null sein kann.
Der Ausdruck 16 ist also keine reelle Zahl!
Wo liegt das Problem? Offenbar sind die reellen Zahlen "nicht genug", um Wurzeln negativer Zahlen zu ziehen, bzw. um für beliebige Polynome Linearfaktoren zu finden. Will man dazu in der Lage sein, benötigt man eine "Erweiterung" der reellen Zahlen, d.h. einen größeren Zahlenkörper, der die reellen Zahlen enthält.
 
Wie geht man dabei vor? Hilfreich ist folgende Eigenschaft von Wurzeln: Sind \(a,b>0\) reelle Zahlen, so gilt: \(\sqrt{a\cdot b} = \sqrt{a}\cdot\sqrt{b}\). Soll diese Eigenschaft auch in der Erweiterung der reellen Zahlen erhalten bleiben, so hätte man zum Beispiel 16\(=\sqrt{-1}\,\cdot\, \)16 \(=\sqrt{-1}\,\cdot\, \)4, denn von 16 können wir sehr wohl die Wurzel ziehen. Diese Beobachtung macht die Suche nach einer Erweiterung von den reellen Zahlen übersichtlicher: Es scheint so, als würde es reichen, dem Ausdruck \(\sqrt{-1}\) "Sinn" zu geben.
Wir nennen das Objekt  \(\sqrt{-1}\) imaginäre Einheit, und schreiben diese gewöhnlich mit dem Buchstaben "\(i\)", also \(i:=\sqrt{-1}\). Es hat die Eigenschaft \(i\cdot i = -1\).
Beispiel:
Wir können also beispielsweise die Gleichung x2=25 nach x auflösen. Durch Wurzelziehen erhalten wir zwei Lösungen, nämlich x=25 und x=25.  Das kann man wiederum vereinfachen, und bekommt: x=(1 ·5) und x=1 ·5. Wir nennen \(\sqrt{-1}=i\), also sind die beiden Lösungen von x2=25:
 
x=(i ·5)   und   x=i ·5.
In den nächsten Kapiteln werden wir uns näher mit den Rechenregeln befassen.