Theorie:

Im vorigen Kapitel haben wir festgestellt, dass die Zeit in bewegten Inertialsystemen langsamer vergeht als in ruhenden, und zwar gemäß der Formel
\(t' = t \sqrt{1-\frac{v^2}{c^2}}\)
mit
\(t\) und \(t'\)... im ruhenden bzw. bewegten System verstreichende Zeit
\(c\)... Lichtgeschwindigkeit
\(v\)... Relativgeschwindigkeit der beiden Systeme.
 
Wir werden diesem Wurzelausdruck in der speziellen Relativitätstheorie noch öfter begegnen. Um etwas an Schreibarbeit zu sparen kürzt man daher oft ab:
 
\(\gamma = \frac{1}{\sqrt{1-\frac{v^2}{c^2}}}\) sodass
 
\(t' = \frac{t}{\gamma}\).
 
Man nennt den Faktor \(\gamma\) (sprich: Gamma) den Lorentz-Faktor (nach dem niederländischen Physiker Hendrik Antoon Lorentz).
 
Da die Lichtgeschwindigkeit eine Konstante ist, hängt der Lorentzfaktor nur von der Geschwindigkeit \(v\) ab. Anschaulicher ist es jedoch, wenn wir die Geschwindigkeit nicht z.B. in km/h oder m/s messen, sondern als Anteil der Lichtgeschwindigkeit.
 
Welche Werte kann \(\gamma\) nun annehmen?
Wir wissen bereits aus unseren bisherigen Überlegungen, dass
\(t' = \frac{t}{\gamma} < t\) und damit \(\gamma > 1\), da die Zeit ja in bewegten Systemen langsamer läuft, als in ruhenden. Der konkrete Wert von \(\gamma\) hängt jedoch von der Geschwindigkeit ab:
 
Lorentz.png
 
Wenn \(v=0\), dann ist \(\gamma=1\). Das ist klar, da dies ja dem unbewegten Fall entspricht (\(t=t'\)).
Für höhere Geschwindigkeiten nimmt \(\gamma\) immer mehr zu. Im Grenzfall \(v \rightarrow c\) geht \(\gamma \rightarrow \infty\).
Wir sehen hier auch: \(\gamma\) wird erst ab etwa \(25 \%\) Lichgeschwindigkeit (\(v/c = 0,25, v \approx 75 000 km/s\)) deutlich größer als \(1\). Unterhalb dieses Wertes macht sich die Zeitdilatation (wie auch andere relativistische Effekte) kaum bemerkbar.
Beispiel:
Ab welcher Geschwindigkeit ist der relativistische Zeitdehnungseffekt größer als \(1\%\)?

\(\gamma = \frac{1}{\sqrt{1-\frac{v^2}{c^2}}} > 1,01\)
Wir lösen den Bruch auf und quadrieren die Ungleichung (da beide Seiten positiv sind, verändert das nicht das Ungleichheitszeichen):
\(1 > 1,01 \cdot \left(1-\frac{v^2}{c^2}\right) = 1,01 - 1,01 \frac{v^2}{c^2}\)
\(1,01 v^2 > 1,01 c^2 - c^2 = 0,01 c^2\)
\(v > \sqrt{\frac{0,01}{1,01}}c = 0,0995 c \approx 29 830 km/s \)

Die Bewegungsgeschwindigkeit muss also etwa ein Zehntel der Lichtgeschwindigkeit (etwa hundert Millionen km/h) betragen, um einen Zeitunterschied von einem Prozent zwischen den Systemen zu erzeugen.
Wichtig!
Der Lorentzfaktor ist immer größer (oder gleich) eins:
\(\gamma \geq 1\).